Moin,
Das hier wollte ich schon immer mal schreiben.
Ich nehme diesen thread also also als Anlass und hoffe, dass dies möglichst vielen (Mit)Lesern hilft:
Vorab:
Das Ganze ist alles andere als trivial.
Ich bin kein Vermesser (für Mathe hab ich null Talent), was folgt hat mir ein Vermesser mal grob vereinfacht, aber dafür ziemlich anschaulich erklärt.
Das versuche ich mal, weiterzugeben:
Wo genau liegt das Problem?
-Wer mal versucht hat, einen Gummiball in Kugelsegmente zu zerschneiden, weiss, dass man diese nicht ohne weiteres auf einem Tisch platt ausbreiten kann.
-Der Grund: Die Erde ist leider doch keine Scheibe (ausser bei Terry Pratchett, unbedingt lesenswert!), sondern eine Kugel
-Wenn man es doch versucht, wird man bemerken, dass sich das Kugelsegment am "Äquator" kaum dehnt, zu (nicht nach!!!) den Polen hin immer mehr.
-Da man Grundstücke, Ländereien oder am besten die ganze Welt "platt" abbilden will, ist also eine "Entzerrung" der Erdkrümmung notwendig
-diese "Entzerrung" (oder auch "Verzerrung", je nach Blickwinkel) ist abhängig vom Koordinatennetz und der Lage des betrachteten Grundstückes auf der Erde
Soweit eigentlich keine Raketenwissenschaft.
Nun beachte man die Konsequenzen einer solchen "Entzerrung":
-Theoretisch müsste ein Gebäude, was auf ein solches Grundstück passen soll, auf der Nordseite ein paar mm kürzer bauen als auf der Südseite (zum Äquator hin).
-macht natürlich keiner (zumindest nicht im klassischen Hochbau, im Strassenbau ist das durchaus relevant...)
Deshalb gehen die typischen Hochbau- CAD (wie z.B. ALLPLAN und Revit) davon aus, dass die Modelle normalerweise nicht verzerrt werden müssen und deshalb sinnvollerweise "in sich winkelgerecht" in einem lokalen Koordinatensystem konstruiert werden sollen.
Wie geht man damit am besten um:
Im BIM- Kontext wird typischerweise ein lokaler Bezugspunkt vereinbart. Dieser liegt in der Nähe des Gebäudes (z.B. 10m ausserhalb des Gebäudes, nicht unbedingt mitten auf der Strasse, damit man den notfalls auch auf der Baustelle einmessen kann). Gern so, dass alle Koordinaten des Gebäudes im positiven Koordinatenbereich liegen.
Die geodätische Koordinate dieses lokalen Bezugspunktes ist bekannt und damit auch die Differenz zwischen dem Lokalen und dem geodätischen Koordinatensystem.
Genau das nennt man übrigens in ALLPLAN "OFFSET".
Vereinbart wird, das alle beteiligten Fachplaner den Nativen Nullpunkt Ihrer CAD (in ALLPLAN: OHNE OFFSET!!!) so legen, dass dieser mit dem vereinbarten Nullpunkt deckungsgleich ist.
Vereinbart werden sollte auch noch, ob das Modell genordet oder z.B. an einer Hauptbauflucht gedreht modelliert werden soll.
Die Differenz zwischen der Nordrichtung und der vereinbarten "Hauptbauflucht" wäre dann ein "OFFSETWINKEL", den es in ALLPLAN dramatischerweise (noch) nicht gibt...
Damit können alle Hochbau- Modelle der Fachplaner (Architekt, Statiker, Tragwerksplaner, Haustechnik) prima überlagert, geprüft, und am Ende kann so auch ganz gut gebaut werden. Alle sind glücklich...
Oder etwas doch nicht??
Das ist dummerweise nur die halbe Wahrheit:
Es gibt natürlich auch Daten, die in geodätischen Koordinatensystemen (UTM oder hier: ETRS89, aber häufig auch noch "älteren" Koordinatensystemen gespeichert sind.
Also quasi "der Rest der Welt".
Wenn eine Georeferenzierung des Gebäudes auf derartige Koordinatensysteme gefordert ist (wie hier), einigt man sich zumeist darauf, das lokal geplante Gebäude beim Export (dwg, aber auch ifc) um den Offset zu verschieben und ggfs. zu drehen.
Deshalb kann beim Export (wie auch beim Import) gewählt werden, ob der OFFSET berücksichtigt werde soll oder nicht!
Eine "Verzerrung" des Gebäudes macht m.E. dabei keinen Sinn (siehe weiter oben. Das Lasermessgerät oder der Zollstock verzerrt auch nix) und wird daher vernachlässigt.
Wenn ich z.B. in ALLPLAN mein Gebäude auf dem Grundstück möglichst exakt plaziert haben möchte, ist beim Import des z.B. Katasterplanes eine korrekte "Entzerrung" und Verschiebung auf meine lokale Koordinate natürlich durchaus relevant.
Dadurch dass die oben erwähnte Lage des Grundstückes auf unserer (noch) blauen Kugel dabei eine entscheidende Rolle spielt, machen sich hier fehlerhafte "Ent- oder Verzerrungen" gern im Bereich mehrerer Zentimeter oder auch Meter bemerkbar.
Deshalb gibt es in ALLPLAN zur Entzerrung ab Version 2020 die Möglichkeit, Importdaten über NTv2- Gitter zu entzerren (z.B. Gauss- Krüger nach UTM oder umgekehrt). Hierbei werden allerdings (z.Zt.) auch nur 2D- Daten transformiert (wir erinnern uns an den Gummiball: eine geplant gerade Wand müsste theoretisch eine gekrümmte Wand werden. Und das wollt Ihr nicht wirklich...).
Wie Revit das genau handhabt, ist mir leider nicht bekannt. Würde mich aber auch brennend interessieren. Bitte gern hier kommentieren!
Wie schon eingangs gesagt:
Das ganze ist NICHT trivial, bei Fehlern können unerwartete Effekte entstehen.
Schlimmstenfalls überlagern diese sich auch mal und sind dann kaum nachvollziehbar...
Und sowas vermute ich bei den vom Threadersteller beschriebenen Abweichungen.
Nochmal:
Das ganze ist wie gesagt ziemlich vereinfacht dargestellt.
Es gibt sicher auch Bauwerke, wo diese Vereinfachungen so nicht angebracht sind (z.B. sehr große Bauwerke in kritischen Bestandssituationen).
In dem Fall ist allerdings (hoffentlich???) auch ein beratender Vermessungsingenieur involviert, der das kompetent klärt.
Sollte ein hier mitlesender Vermesser feststellen, dass ich an der ein oder anderen Stelle unzulässig oder falsch vereinfacht habe, freue ich mich über entsprechendes Feedback!
So.
Nun hoffe ich, dass der Weihnachtsmann auch ohne intimere vermessungstechnische Kenntnisse den Weg vom Nordpol zu Eurem Schornstein findet und bleibt vor Allem gesund!
BG
Jens Maneke
AAP Sommerfeld